Was haben Literatur und Macht miteinander zu tun? Wer entscheidet eigentlich darüber, welches Werk in den Kanon aufgenommen wird und welches nicht?

Im Rahmen dieses Artikels möchte ich euch in kurzer Form erklären, wie diese Begriffe zusammenhängen. Darauf aufbauend werden immer mal wieder Artikel  folgen, die sich mit einem bestimmten Aspekt intensiver beschäftigen.

Nun zur Thema selbst..

Wenn man sich mal intensiver mit der Literaturwissenschaft und der Literaturkritik auseinandergesetzt hat, ist man sicher bereits auf den Begriff „Literarischer Kanon“ gestoßen.

Der literarische Kanon ist ein sehr kontroverses Medium, welches in der Forschung verschieden konnotiert und betrachtet wird. Die Meinungen gehen weit auseinander und auch die Alternativen und Verbesserungsvorschläge sind sehr weit aufgestellt.

Die einen definieren es als ein Organ mit dessen Hilfe man die allgemein als wertvoll erachteten Werke und Autoren sammelt, da man davon ausgeht, dass ihr Wert alle Zeiten und Epochen übersteht. Nur „die Besten der Besten“ finden dabei ihren Platz im Kanon. Als Autor in den literarischen Kanon aufgenommen zu werden, gleicht dabei einem Oscarpreis oftmals aber erst nach dem Tod.

Andere hingegen betrachten es als ein Ausleseorgan oder gar als Zensurmittel, mit dem man gezielt gewisse Autoren und Werke in die Abgeschiedenheit drängt. Die Kritik kommt dazu aus diversen Bereichen der Gesellschaft und ist sehr ausführlich formuliert.

Hinzukommt, dass man gar nicht genau weiß, wer eigentlich dieses Literaturkonstrukt erfunden hat und wer eigentlich entscheidet, dass ein Werk kanonisiert wird oder nicht. Man geht viel mehr davon, dass die Qualitäten eines Werkes oder eines Autors für sich sprechen und sich diese Kanonisierung über die Zeit hinweg vollzieht.

Doch wie kann es sein, dass die Meinungen so sehr auseinander gehen?

Um diese Frage zu beantworten, würde es sich anbieten einen Blick in den literarischen Kanon zu werfen. Und ohne, dass man ein Professor der Literaturwissenschaft ist, kann man eine Tatsache ganz deutlich feststellen. Der literarische Kanon des Westens ist sehr stark von männlichen, weißen Mitteleuropäern dominiert. Ganz unabhängig davon in welche Epoche man geht, es ist nicht zu übersehen.

Bedeutet dies also, dass nur männliche weiße mitteleuropäische Männer gute Literatur verfassen können?

Wohl kaum. Dieses  Phänomen kennen wir auch aus anderen Bereichen der Gesellschaft und es hat natürlich auch seine historischen Wurzeln. Nicht umsonst schrieb Karl Marx „Die ökonomisch herrschende Klasse ist gleich die politisch herrschende Klasse“ und die politisch herrschende Klasse ist die Oberschicht unserer Gesellschaft, dessen Dominanz in allen Bereichen, auch und vor allem in der Literatur, präsent ist.

In Anbetracht dieser Parallelitäten, kann man sich nun auch herleiten, von wem diese Kritik ausgesprochen wird: Von Nichtweißen, Nichtmitteleuropäern und natürlich  von Frauen. Also im Grunde genommen von allen, die der „Norm“ nicht entsprechen.

People of Color wurden bzw. werden in die Peripherie, an den Rand gedrängt, wo ihren Werken nicht die gebührende Anerkennung geschenkt wird.

Wusstet ihr zum Beispiel, dass man migrantischen Autoren in den 70ern und 80ern empfohlen hatte ihre Namen zu ändern, damit sie auf die Käufer „sympathischer“ wirken? Dazu muss man auch sagen, dass die meisten Schriftsteller auf Grund ihres migrantischen Hintergrundes gleich zu Beginn abgelehnt wurden und man ihre Werke nur in wenigen Fällen verlegt hat.

Oftmals mussten sie sich durch das Gründen eigener Verlage helfen. Auch heute noch erkennt man Defizite in der Forschung im Bereich der Migrationsliteratur und der nichtweißen Literatur. Dies fängt damit an, dass wichtige Definitionen entweder noch fehlen und uneindeutig sind oder erst in jüngster Zeit definiert wurden.

Betrachtet man allerdings die Werke, die kanonisiert wurden, so sind es gerade diese Werke, die für die Verständigung, Brüderlichkeit und Liebe zwischen den Menschen stehen. Dies bezüglich wird aber noch mal ein eigener Artikel erscheinen.

Der literarische Kanon impliziert also Macht auf verschiedenen Ebenen. Zum einen hat sie die Macht, Werke und Autoren entweder in das Zentrum zu stellen oder sie in den Rand der Vergessenheit zu drängen. Andererseits gibt es auch Institutionen, die selbst Macht auf den Kanon ausüben. Darunter fallen zum Beispiel Schulen, die mit ihrer Auswahl von Lektüren den Kanon sowie das Leseerlebnis der Schüler beeinflussen.

Außerdem hat vor allem auch der Leser heute einen Einfluss darauf, was kanonisiert wird. Nicht nur in Form seines Kaufverhaltens, sondern auch in Form von Buchbesprechungen, Rezeptionen, Rezensionen etc.

Abschließend kann man sagen, dass die Literaturwissenschaft mittlerweile eigene Bereiche, in denen sie ganz klar Defizite bezüglich dieser Frage aufweist, aufgearbeitet hat. Allerdings gibt es noch genügend Lücken, die gefüllt werden müssen, was aber natürlich seine Zeit verlangt.

Gerade heute ist es wichtig Werke und Autoren von People of Color zu unterstützen, um dem Mainstream entgegen zu schwimmen und alte Strukturen in Frage zu stellen oder gar zu brechen.