Von Deborah Feldman
Es gibt momentan wahrscheinlich nur wenige Romane, die mit dem Wirbel, den der Roman Unorthodox ausgelöst hat, mithalten können. Relativ kurz nach der Veröffentlichung sind die Auflagen in die Millionenhöhen gelangt und durch die romanbasierende Netflix-Serie hat sie große Aufmerksamkeit erhaschen können…
Dass ein Gefängnis viele Formen haben kann, ist dem einen oder anderen nicht immer bewusst. Am geläufigsten ist die Vorstellung in Form von Ketten aus Stahl, die uns in einem kleinen dunklen Raum mit nur einem kleinen Ritz in der Wand, der uns den Blick in die Freiheit erlaubt, fesseln.
Was wäre allerdings, wenn das Gefängnis etwa so groß, wie ein Stadtteil und unsere Fesseln lediglich abstrakter Form wären. Wie bricht man aus so einem Gefängnis aus? Deborah Feldman versucht diese Frage mit ihrem äußerst bewegenden autobiographischen Roman zu beantworten.
Die kleine Devoiri wird in sehr jungen Jahren von ihrer Mutter, die aus der chassidisch-jiddischen Sekte in Williamsbourg austrat, verlassen und mit ihrem neurologisch gestörten Vater zurückgelassen. Weil dieser nicht in der Lage ist für sie zu sorgen, wächst sie bei ihren sehr gläubigen Großeltern unter strengen religiösen Regeln und dem Druck der frommen jüdischen Gesellschaft auf.
Warum sollte irgendwer diese großartige Welt verlassen, um hierherzukommen? frage ich mich. Was hat dieses schmutzige Viertel zu bieten außer der Freiheit, in ein selbst auferlegtes Ghetto zu verschwinden?
S.160
Je älter Devoiri wird, desto stärker spürt sie den Konflikt zwischen dem, was sie möchte und dem, was die chassidisch-jiddische Gesellschaft ihr vermeidlich vorschreibt zu wollen. Ihre Zwangsehe ist dabei nur eines dieser tragischen Beispiele.
Die Unterdrückung der Frau, die hier sehr stark zur Geltung kommt, ist sehr weitreichend und beschränkt die Frauen nicht allein ihrem Verhalten und ihrer Freiheit.
Und doch verkauft die jüdische Buchhandlung alles, was Juden betrifft, und ich fühle mich weniger schuldig, wenn ich ein Buch von dort mit nach Hause nehme und nicht aus der Bibliothek.
S.66
Bildung gilt als Satansgut und wird verteufelt. Mädchen ist das alleinige Betreten einer Bibliothek strengstens untersagt, was die kleine Devoiri allerdings nicht davon abhält sich heimlichen Zugang zu englischer Literatur zu beschafften. Diese enorme Freude und Zufriedenstellung, die sie durch das Lesen erfährt, ist ihr dieses Risiko wert. Selbst wenn sie mit ihrem Gewissen ab und an zu kämpfen hat, welches ihr das Lesen von nicht jüdischen Werken untersagt, akzeptiert sie die „Sünde“ innerlich.
Auch bieten sie ihr ein kleines Stückchen Freiheit, selbst wenn diese nur in ihren Vorstellungen zu existieren vermag.
Wirklich, ich bin schon beinahe eine Figur aus Stolz und Vorurteil . Meine gesamte Zukunft wird ebenfalls davon abhängen, wie vorteilhaft meine Ehe sein wird
S. 162
Die Konflikte mit ihrer Gesellschaft werden immer konsequenter und es verläuft nicht so, wie sie es erwartet hatte. Doch was macht man dann, wenn es nicht so kommt, wie es erwartet wird?
Ihre Vergangenheit, die sie so ehrlich und so hautnah darstellt, lässt den Leser fassungslos staunen. Sie stellt ihre Innere Welt, als auch ihre Umwelt nachvollziehbar und spannend dar. Dabei schafft sie es, in Verbunden mit ihrem literarischen Können, einen unvergleichlichen Einblick in eine Welt, in der die Interpretation einer Religion überhand gewinnt, zu ermöglichen.
Selbst wenn man die Serie auf Netflix bereits geschaut hat, so sollte es einen nicht daran hindern auch den Roman zu lesen. Die Eindrücke, die hinterlassen werden, sind es das Lesen wert.
Man möchte gar nicht aufhören zu lesen!